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Wenn sich Menschen in unserem Kulturkreis zu einer festen Partnerschaft zusammenschließen, heißt das bei den meisten Fällen ganz unausgesprochen: Sex findet ab jetzt nur noch mit einer Person statt. Monogam zu leben scheint nach wie vor ein geradezu unangefochtenes Ideal zu sein:

Nach einer Studie des Instituts Allensbach geben 70 % der Befragten Treue als die wichtigste Eigenschaft eines idealen Partners/ einer idealen Partnerin an. In europäischen Ländern liegt die gesellschaftliche Erwartung an eine monogame Partnerschaft zwischen 60% und sogar 100 %. (Quelle:Wielandstolzenburg.de)

Schaut man allerdings darauf, wie sich Menschen tatsächlich verhalten, zeigt sich, dass bei manchen zwischen Wunsch und Ideal doch eine größere Kluft besteht.

Laut einer Studie des Deutschen Ärzteblattes sind 15 % der befragten Frauen und 21% der befragten Männer schon einmal fremdgegangen. Bei einer Befragung der Online-Partnervermittlung Parship gaben 30 % der Befragten (Männer 38%, Frauen 25% ) an, dass sie nicht völlig ausschließen könnten, ihren Partner/ihre Partnerin zu betrügen, wenn sich eine verlockende Gelegenheit böte.

Aber warum ist das eigentlich so? Warum wollen die meisten treu sein und auch entsprechend behandelt werden, während sich fast ein Viertel gar nicht daran hält und ein Drittel sogar offen zugibt, nicht das erfüllen zu können, was man eigentlich von sich selbst erwartet?

Der amerikanische Autor Christopher Ryan und die Psychiaterin Cacilda Jatha geben in ihrem aufschlussreichen und gleichzeitig amüsanten Buch „Sex“ darauf eine sehr interessante Antwort: Evolutionär betrachtet war Sex mit vielen Partnern früher die Norm. Geändert hat sich das erst mit der Entwicklung der Landwirtschaft und der Etablierung von festen Eigentmsverhältnissen.

Unsere Vorfahren lebten als Jäger und Sammler in Gruppierungen von nicht vielmehr als 150 Menschen. Sie hatten nur wenige Besitztümer, weil sie nicht sesshaft waren und alles mit sich tragen mussten. Und weil dies ihre Überlebenschancen erhöhte, teilten sie ihren Unterschlupf, ihre Nahrung und … auch ihre Sexualpartner*innen.

Viel Sex mit vielen Personen zu habenstärkte das Gemeinschaftsgefühl, es führte zu mehr Wohlbehagen in der Gruppe und es sorgte für viele Nachkommen, die die Existenz der Gruppe sicherten. In den Kathegorien „meins“ und „deins“ wurde schlichtweg noch nicht gedacht und empfunden.

Als die Menschen damit begannen, Land zu bewirtschaften, Häuser zu bauen und sesshaft zu werden, hatten sie zum ersten mal die Möglichkeit, Lebensmittel zu horten und Besitz aufzubauen. Und demzufolge änderte sich auch das Sozialgefüge. Nun gehörte nicht mehr alles allen, sondern Land, Behausung, Nutztiere und Nahrung- und Arbeitsmittel gehörten einzelnen. Arm und reich, Eigentum und Neid entstanden. Und weil es überwiegend die Männer waren, die sich Ländereien zu eigen machten, dehnte sich das Besitzdenken bald auch auf Frauen und Kinder aus. Es war eben plötzlich wichtig zu wissen, wer die eigenen Nachkommen waren, um den eigenen Besitz nicht an die Kinder des Nachbarn weiterzugeben. Weil die Frau, mit der man Kinder in die Welt setzte, nur die eigenen Kinder – und eben nicht die der anderen Dorfbewohner austragen sollte, enstanden die Begrifflichkeit „meine Frau“ und die Institution Ehe. Nach Ryan und Jatha wurden diese „eigenen“ Frauen, die zudem ja auch noch eine wichtige Arbeitskraft waren, mit der Entwicklung der Landwirtschaft und der beschriebenen sozialen Veränderung zu den Verliererinnen der Geschichte. Sie wurden nicht nur von gleichberechtigten Jägerinnen und Sammlerinnen zu nachgeordneten Hausfrauen und Erzieherinnen. Um sicherzustellen, dass Frauen nur Kinder von dem eigenen, „richtigen“ Mann zu Welt brachten, wurde mit der Ehe alle möglichen Bestrafungen für untreue Frauen eingeführt und die weibliche Sexualität unterdrückt und pathologisiert.

So stark, dass wir auch heute noch daran glauben, dass Frauen eine schwächere Libido haben als Männer, was vollkommen falsch ist. (Nach: Ryan und Jatha, in SEX, die Wahre Geschichte, Klett-Cotta 2016)

Was heißt das nun für unsere monogamen Partnerschaften? Stimmt es, dass unsere Idee, unserem Partner/unserer Partnerin treu bis ans Beziehungsende sein zu wollen/müssen, gar nicht unseren menschlichen Bedürfnissen, sondern nur der Entwicklung wirtschaftlich bedingter Machtverhältnsse entspricht?

Könnten wir die Monogamie also nicht einfach auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen und wieder munter durch die Betten (oder Felle) springen, wie unsere Vorfahren es getan haben? Sollten wir, wie es Ryan und Jatha empfehlen, Sex mal von seinem Sockel stoßen und eher als gute Entspannungsübung betrachten, die man mit verschiedenen Menschen und nicht exkusiv ausüben sollte?

Ich bin mir da nicht so sicher. Jeder/jede, die schonmal betrogen worden ist, weiß sicherlich, dass kulturhistorische Argumente gegen Liebeskummer oder das kränkende Gefühl, nicht die/der Einzige zu sein, wenig ausrichten können.

Und viele, die schon einmal einen geliebten Menschen betrogen haben, weil es mit einem anderen/einer anderen so verlockend, aufregend und neu war, mussten erfahren, mit wieviel schlechtem Gewissen sie sich trotz aller inneren Rechtfertigungen herumplagen mussten.

Paare, die offen polyamor leben, sich also darauf geeinigt haben, dass es ok ist, neben der Primärbeziehung andere, wechselnde Sexualpartner*innen zu haben, sind meiner Erfahrung nach sehr viel mit Absprachen, Aussprachen, Regeln für das wie oft, wie lange, und mit wem beschäftigt. Ich habe bisher nur sehr wenige Paare kennengelernt, die das ohne gegenseitige Verletzung, Eifersucht und Entfremdung hinbekommen haben. Schwule Männerpaare mal ausgenommen, die scheinen da besser/anders zu sein.

Wir heterosexuellen Beziehungsmenschen scheinen da so fest mit unserem Sozialisationsgepäck verbunden zu sein, dass wir uns nicht einfach mal „locker machen“ und unsere Exklusivansprüche über den Haufen werfen können.

Wahrscheinlich haben wir, wie es der Hirnforscher Dr. Gerald Hüther ausdrücken würde, so starke „neuronale Autobahnen“ aufgebaut, dass es uns sehr schwer fällt, neue Trampelpfade des „wir können es auch alles ganz anders machen“ zu betreten.

Oder anders ausgedrückt: Unsere kollektiven Vorstellungen davon, wie heterosexuelle Beziehungen zu laufen haben, dass man sich treu ist, nur einen Sexualpartner/eine Sexualpartnerin hat, Sex etwas mit Liebe zu tun hat etc. haben in uns neuronale Strukturen geschaffen, die unser Denken und Fühlen prägen.

Nun können wir unsere Vorstellungen ändern, uns andere Bilder machen, andere Erfahrungen sammeln und allmählich andere Strukturen in unseren Gehirnen aufbauen. Aber schnell und einfach geht das eben nicht.

Aber wollen wir unsere Vorstellungen und Idealbilder wirklich ändern? Stimmt es eigentlich wirklich, dass wir, wie Ryan und Jatha behaupten, ein urzeitliches Bedürfnis danach haben, uns mit möglichst vielen Menschen sexuell zu belustigen?

Hatte diese Lust nicht instinktiv auch sehr viel mit dem Überlebenswillen und der Notwendigkeit, bei einer hohen Kindersterblichkeit viele Nachkommen in die Welt zu bringen, zu tun?

Und worum geht es uns heute? Wenn Menschen, die schon einmal fremd gegangen sind, nach ihren Motiven gefragt werden, geht es meist um Abenteuerlust, den Reiz des Neuen, Selbstbestätigung und Lebendigkeit. Viele möchten noch einmal den rauschhaften Sex erleben, den die meisten am Anfang einer Beziehung quasi geschenkt bekommen haben. Der sich nach den ersten Jahren aber nicht mehr einfach so einstellen mag. Viele gehen auch fremd, weil in ihrer langjährigen Beziehung sexuell der Ofen lange aus ist.

Paaren, die zu mir in die Praxis kommen und genau das beschreiben, rate ich nicht grundsätzlich davon ab, ihre Beziehung für Dritte zu öffnen. Aber ich weise auf die Gefahren hin.

Denn selten profitieren alle gleich davon. Oft ist es doch eher so, dass ein Partner/eine Partnerin dann viel mehr Sex mit wechselnden Menschen hat, während der/ die andere etwas unterversorgt zurückbleibt oder vor lauter Eifersucht den neuen Freifahrtschein gar nicht genießen kann.

Und was stattdessen?

In meiner Praxis für Partherapie ermutige ich Paare, nicht alles gleich über den Haufen zu werfen, wenn mal ein Seitensprung ans Licht gekommen ist. Vielleicht stimmt es ja wirklich ein bisschen, was Ryan/Jatha beschreiben und man sollte Sex nicht zu hoch bewerten.

Aber man darf es sich m.E. auch nicht zu leicht machen. Denn Menschen brauchen nicht nur Spannung, Spaß und Abwechslung, sondern auch Bindung. Sie bauchen nicht nur Flügel, sondern auch Wurzeln.

Wir brauchen jemanden, dem wir vetrauen können, der an unserer Seite steht und für uns da ist.

Und auch wenn unser Konzept der monogamen Beziehung aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten und dem Streben nach Besitz heraus entstanden ist, so haben wir es doch nunmal mitlerweile tief verinnerlicht und emotional besetzt. Und vielleicht ist das ja auch gar nicht so schlecht. Immerhin scheinen drei Viertel der Befragten (s.o.) ja auch gut damit klar zu kommen.

In meiner Praxis für Paartherapie empfehle ich daher IMMER, gemeinsam hinter die Fassade zu gucken. Was war denn mit der Primärbeziehung los, als die Seitenbeziehung begann? War /ist die Ursprungsbeziehung wirklich am Ende und die Nebenbeziehung ist ein Ausdruck davon?

Oder hat es sich jemand einfach etwas zu leicht gemacht und, statt sich mit der eigenem Beziehung auseinander zu setzen, das schnelle Glück am Wegesrand mitgenommen? So wie man ja manchmal auch nicht für das Abendessen kocht, sondern die Kühlschranktür aufmacht und sich etwas leckeres in den Mund schiebt?

Wir alles wissen doch, wie verführerisch dieser kleine, schnelle Kick, diese einfache Befriedigung ohne großen Aufwand ist. Aber… wie Fastfood ja eben nun mal ist… vieles hält nicht lange satt.

Kochen ist manchmal Arbeit, Beziehungen sind oftmals anstrengend. Sie wollen gepflegt werden, und das dauert Zeit und Kraft. Aber wenn das emotionale Band noch irgendwie besteht, dann bin ich immer dafür, es nicht zu zerschneiden sonder danach zu gucken, warum es sich anscheinend gelockert hat.

Wie geht es Ihnen denn wirklich in ihrer Beziehung? Wie ist der Austausch, die Kommunikation, der Sex? Haben Sie wrklich alles für die Beziehung getan?

Haben Sie sich dabei unterstützen lassen, Ihre Streitmuster zu unterbrechen oder haben Sie sich resigniert abgewendet? Haben Sie sich uns um eine gute Kommunikationskultur bemüht, oder genervt geschwiegen? Haben Sie sich damit beschäftigt, was Sie selber brauchen, was Ihre Partnerin/ihr Partner in der Beziehung braucht und wie Sie das eine mit dem anderen vereinbaren können? Geben Sie sich wirklich noch für den / die andere Mühe oder tragen Sie abends nur noch den „müden Rest“ nach hause, der seine bessere Seite erschöpfend in der Außewelt präsentiert hat?

Und wie sieht es eigentlich mit Ihrem Sexleben aus?

Ist die primäre Beziehung, an der ja vielleicht festgehalten werden soll, wirklich noch sexuell befriedigend und können Sie guten Gewissens sagen, dass Sie alles dafür getan habe, dass sie es ist?

Ist Ihr Sexleben nicht vielleicht zum Erliegen gekommen, weil Sie über Jahre immer das selbe gemacht haben und das natürlich stinklangwelig geworden ist? Wieviel Mühe haben Sie sich denn wirklich gegeben, um für Abwechslung und den Reiz des Neuen zu sorgen?

Wie genau wissen Sie eigentlich wirklich, was sie selbst und/oder was Ihr Partner/Ihre Partnerin im Moment gerade wirklich erotisch findet? Und und und.

Monogam zu leben, treu zu sein, nur einen Partner – eine Partnerin zu haben, hört sich vielleicht fast etwas langweilig an. Offene Beziehungen – Polyamorie – gegenseitige Freibriefe – das klingt verruchter, aufregender und vielleicht moderner.

Und wem das ohne dauernde gegenseitige Verletzung gelingt, der kann das ja auch gerne so leben.

Als Paartherapeutin, die weiß, wie elementar Bindung UND Autonomie, Aufregung UND Sicherheit für Menschen ist, verfolge ich ein anderes Konzept. Immer vorausgesetzt, dass die emotionale Grundlage des Beziehung noch stimmt, halte ich es für lohnenswert, alles für die Bindung zu tun UND – gemeinsam für so viel Abwechlung, Spannung und Spaß zu sorgen, wie möglich. Denn meistens ist noch so unglaublich viel „Luft nach oben“, ist noch so viel positive Veränderung möglich, dass es in meinen Augen geradezu verschwenderisch wäre, sich nicht darum zu bemühen. Einen Menschen, den wir wirklich lieben können, finden wir schließlich nicht an jeder Straßenecke.

Dabei, die eigene Liebe wieder zu retten, kann man sich helfen lassen. Eine gute Paartherapie, in der auch über Sex gesprochen wird, helfen da sehr.

Melden Sie sich gerne bei mir, wenn Sie es ausprobieren möchten: Www.paartherapie-susa-bruemmerhoff.de, info@blog-paartherapie.de

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